Der "Kalkrain bei Giflitz" ist neben dem "Paradies bei Gellershausen" eines der beiden kleinen Edertaler Naturschutzgebiete NSG). Es hat nur eine Größe von 7,4 Hektar, ist aber aus botanischer
Sicht ein Juwel.
Als einziges der Edertaler Naturschutzgebiete ist der steile, südostexponierte Hang auf der linken Seite des Wesetals unzugänglich, weil er nicht durch einen Weg erschlossen ist. Den besten
Blick auf das Gebiet hat man von der Bundesstraße von Giflitz nach Bad Wildungen aus. Leider ist der dortige Parkplatz seit einigen Jahren gesperrt, weil hier illegal immer wieder große Mengen
von Müll abgelagert wurden. Einen näheren, aber begrenzten Blick auf das Gebiet hat man von dem Feldweg aus, der von Giflitz aus durch das Wesetal nach Kleinern führt.
Das Naturschutzgebiet wird durch den weit und breit schönsten, großflächigen Wacholderbestand geprägt. Das Nadelgehölz mit seinem meist säulenförmigen Wuchs galt den Schäfern als "Weideunkraut",
denn es wird von den Tieren wegen seiner stacheligen Nadeln nicht verbissen.
Bis um 1950 wurden noch Schafe und Schweine in das Gebiet getrieben. Die Beweidung ist aber wichtig für die Erhaltung vieler Pflanzen- und Tierarten des Kalkrains. Deshalb sorgt dafür Schäfer
Georg Schutte (Frankenau) mit seinen Heidschnucken im Auftrag der Oberen Naturschutzbehörde für die Pflege des Schutzgebietes.
Geologisch besteht der Steilhang aus dolomitischem Kalkstein. Dieser Boden ist leicht erwärmbar und infolge hoher Wasserdurchlässigkeit sehr trocken. Deshalb gedeihen hier viele Licht und Wärme
liebende sowie Trockenheit ertragende Pflanzen. Bereits im März blühen zum Beispiel der Frühlings-Ehrenpreis und das Frühlings-Fingerkraut. Über die Vegetationsperiode hinweg bieten sich
wechselnde Blühaspekte bis hin zum August mit der Sand-Strohblume.
Die Sand-Strohblume ist eine kontinental verbreitete Art, die in Deutschland ihren Verbreitungsschwerpunkt in den Sandgebieten Nordostdeutschlands hat. Im Kreisgebiet existieren nur noch wenige Exemplare der hessenweit stark gefährdeten Steppenpflanze. Sie ist nur noch an einem Südwesthang der Stadt Waldeck zu finden und am Kalkrain bei Giflitz, wo sie früher deutlich häufiger war. Die weißwollige Behaarung des Korbblütlers dient als Strahlungs- und Austrocknungsschutz. Die Wurzeln dieser Pflanze reichen als Anpassung an den trockenen Standort bis 70 cm tief. Als Orchideen-Arten sind am "Kalkrain" Rotbraune Ständelwurz, Großes Zweiblatt und Fliegen-Ragwurz vertreten.
Die Erdflechten-Gesellschaft im Bereich des Trockenrasens gilt aufgrund des Rückgangs geeigneter Lebensräume als bundesweit gefährdet. Am "Kalkrain" wurden sieben Flechtenarten nachgewiesen, die
auf der Roten Liste stehen.
Unter den Gräsern herrscht das Pyramiden-Schillergras vor und auf kleinflächig anstehenden Felsen wächst das Polster bildende Kalk-Blaugras. Eine Besonderheit sind auch die vielen Rosenarten, zum
Beispiel Feldrose und Kleinblütige Rose, zwei Wärme liebende, submediterrane und in Nordhessen seltene Arten. Die Kleinblütige Rose hat hier ihr bestes Vorkommen im Kreisgebiet. Das NSG war
zwischenzeitlich stark zugewachsen. Bei einer „Pflegeaktion“ wurde der Wacholderbestand freigestellt. Von der undifferenzierten Entbuschung durch naturschutzfachlich unerfahrenes Personal
waren auch die wertvollen Rosenarten betroffen.
Aufgrund der sehr speziellen Lebensbedingungen hat das Naturschutzgebiet auch eine interessante Insekten-Fauna. Unter den neun Heuschreckenarten ist der Heide-Grashüpfer Charakterart beweideter
Magerrasen. Unter den 77 nachgewiesenen Schmetterlingsarten sind 27 Tagfalterarten, bei denen an Mager- und Trockenrasen gebundene Arten überwiegen.
Charakterart des Naturschutzgebietes "Kalkrain bei Giflitz" ist der Wacholder, Baum des Jahres 2002. Der Nadelstrauch liebt Licht und Wärme, ist
aber winterhart. Er kann mehrere hundert Jahre alt werden.
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Wolfgang Lübcke